Sterbephasen
In enger Anlehnung an die tibetischen Totenbücher teilt Dr. Rosina Sonnenschmidt das Sterben der Menschen in sechs Wandlungsphasen ein. Sie gibt in ihrem Buch „Exkarnation“ auch viele wertvolle Informationen über homöopathische Hilfen im Sterbeprozess. (siehe Menü Literatur)
Viele Hinweise zu den Sterbephasen gibt auch Sogyal Rinpoche, der Autor von: „Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“. Er ermöglicht den westlich geprägten Menschen einen Schlüssel zum tiefen Verständnis vom Leben und vom Sterben. (siehe Menü Literatur)
Die Sterbeforscherin Dr. Elisabeth Kübler-Ross hat in den 1980er-Jahren den Sterbeprozess in fünf Phasen eingeteilt. Diese beschreiben die Gefühlsebenen beim Sterben und sind eng verbunden mit den ersten fünf Wandlungsphasen der tibetischen Tradition. (siehe Menü Literatur)
Die zeitliche Abfolge ist dabei von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Nicht jeder Sterbende durchläuft für uns sichtbar die wellenförmigen Sterbephasen in der Reihenfolge und Intensität, wie sie im Folgenden geschildert sind. Manche Menschen sterben von einer Sekunde auf die andere durch einen Unfall, eine akute Krankheit oder Fremdeinwirkung. Jeder Mensch ist anders, in seinem Leben wie in seinem Sterben. Aber die Modelle machen uns vieles verständlich, was wir beim natürlichen Sterben eines Menschen beobachten können. So sind sie auch konkrete Hilfen für uns und für die Sterbenden in ihrer letzten Lebensphase.
Das setzt allerdings eine Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben und das Annehmen unseres unausweichlichen Abschieds von dieser Welt in „guten Zeiten“ voraus.
Wenn wir einen uns lieben Menschen im Sterben begleiten, brauchen wir die Kraft, ihn nicht angstvoll auf Erden festhalten zu wollen (was ihm das Sterben unnötig erschweren würde). Es ist viel sinnvoller, ihm mit der Hoffnung auf das Jenseits die Sicherheit zu geben, dass wir an seiner Seite sind und dass alles, was er wahrnimmt, seine natürliche Ordnung hat.
Nach dem Erspüren oder der Nachricht einer schweren Erkrankung kommen in der Regel viele Gefühle hoch, die z. B. ausdrücken: „Ich kann es nicht glauben“, „Ich bin starr vor Schreck“, „Das betrifft mich alles nicht“, „Hier hat jemand die Akten vertauscht“.
Dr. Kübler-Ross nennt das die Phase der Verdrängung. Die Begleiter können nur geduldig da sein und sollten versuchen, den Prozess zu verstehen und Halt zu geben.
Diese 6 Phasen sind hier ausführlich erklärt:
Erste Wandlungsphase
Der schwer kranke oder alte Mensch spürt schon in der ersten Wandlungsphase schmerzlich, dass Bewegung in den Verbund von Körper und Bewusstsein kommt. Er träumt nachts verwirrende Dinge und der Körper beginnt an seiner Substanz zu zehren. Wenn er sich dann – möglicherweise zum ersten Mal – mit der Tatsache auseinandersetzt, dass wir alle einmal gehen müssen, beschwert sich der Sterbende bei Angehörigen, bei Ärzten und oft auch bei Gott über die Ungerechtigkeit, dass gerade er jetzt dran ist. Kübler-Ross beschreibt diese wichtige Phase mit Zorn und Auflehnung. Vielfach beginnt der Sterbende jetzt gegen seine Krankheit zu kämpfen.
In Tibet wird der kranke Mensch ermuntert, sich seiner guten Taten bewusst zu werden, um mit Vertrauen an die Sinnhaftigkeit des Lebens auch das Sterben anzunehmen. Man stellt ihm Bilder aus der Blüte seines Lebens neben dem Krankenlager auf. Hier wird nicht über das Leiden und das Sterben gesprochen, vielmehr wird das Gute betont. Denn Sterben wird als Weiterentwicklung und als Weg zur Erleuchtung verstanden.
Die Krankheit, die jeder sieht und wahrnimmt, muss nicht permanent Thema sein. Es ist sinnvoller, den Blick nach innen zu richten, sich bewusst mit seiner Erkrankung auseinanderzusetzen.
Zweite Wandlungsphase
In der tibetischen Vorstellung setzt der Sterbende in der zweiten Wandlungsphase die bereits begonnene Umwandlung von seiner Materie in ein größeres Energiefeld fort. Manche Menschen sehen einem sterbenden Menschen die Abnahme der Substanz am Gesicht an. Dass er insgesamt weniger wird, dass sein Gesicht und die Nase spitz werden.
Viele Menschen wollen erst gehen, wenn sie noch etwas aus ihrem Leben ins Reine gebracht haben, und rufen dazu (manchmal auf unerklärliche Weise sogar aus dem Koma heraus) nach Angehörigen. Wir sollten die Äußerungen des Sterbenden ernst nehmen und nicht als Hirngespinst abtun, wenn er uns z. B. berichtet, dass er mit verstorbenen Angehörigen gesprochen hat. (siehe auch: Sterbekultur im 21. Jahrhundert – Sterbebettvisionen)
Nahrungsverweigerung, Todesängste, Angst vor der Dunkelheit und kurzzeitige Bewusstlosigkeit kommen in dieser Phase vor.
Der Stoffwechsel verlangsamt sich, das Blut wird nicht mehr vollständig entgiftet. Dem Körper entströmt ein Acetongeruch. Durch die nachlassende Durchblutung kann sich eine Blaufärbung der Lippen oder des Gesichtes und manchmal auch des Körpers zeigen, Kälte breitet sich aus. Der Mensch ist ausgetrocknet, völlig erschöpft, der Puls extrem schwach. Eine stöhnende Lautäußerung erleichtert und lindert den Schmerz etwas. Die Dauer dieser Phase variiert zwischen einigen Stunden und mehreren Tagen.
Wir können uns und dem Sterbenden – je nach seinem Glauben – spirituell dabei helfen, loszulassen. (siehe auch: Ratgeber – Gebete vor dem Versterben). Das positive Gebet für den Sterbenden hat dabei eine gewaltige Kraft an Heilenergie, die wir alle von Herzen verschenken können. Wir können dem Sterbenden gute Gedanken und Wünsche schicken und ihm damit viel Gutes tun.
Gemäß den tibetischen Totenbüchern spricht man den Sterbenden sanft mit seinem Namen an, sagt ihm, dass man ihn versteht, und spricht Worte wie: „Ich bin bei dir und begleite dich. Geh nur auf das helle Licht zu, das du siehst.“
Dritte Wandlungsphase
Die dritte Wandlungsphase ist die Wegscheide zwischen Leben und Tod.
Im Nahtoderlebnis spürt der Mensch einen deutlichen Sog in seinen Körper hinein. Hier bekommt er gesagt: „Dein irdischer Lebensweg ist noch nicht zu Ende.“ Aber er hat schon gespürt, wie leicht es ohne seinen materiellen Körper sein kann. (siehe auch: Sterbekultur im 21. Jahrhundert – Nahtoderlebnisse).
Es folgt ein letztes Aktivieren der Energiereserven des Sterbenden. Herz und Kreislauf kommen noch einmal auf Hochtouren und ermöglichen ein letztes Aufblühen – ein Zeichen, dass der Tod nahe ist. Es gibt aber auch Menschen, die in dieser Phase der unmittelbaren Nähe des Todes das Krankenzimmer wieder verlassen und noch einige Monate oder Jahre weiterleben.
Kübler-Ross nennt diese stark emotional geprägte Phase die Verhandlungsphase. Der Patient verhandelt mit dem Arzt, mit dem Schicksal oder mit Gott über einen Aufschub der Erkrankung. Wir als Begleiter sollten die Strategien und Inhalte des Verhandelns nicht bewerten und nichts belächeln.
Es kann in dieser Phase durchaus zu Spontanheilungen kommen. Wir haben die Wahl zum Heilwerden. Besonders „erfolgreich“ ist es wohl, wenn wir um Zeitaufschub für unsere Nächsten bitten, um z. B. die kleinen Kinder noch großziehen zu können.
In der nächsten Sterbephase kann der Sterbende meist keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen, er verwertet seine Fett-und Eiweißdepots und vergrößert gleichzeitig sein Energiefeld.
Das Bewusstsein des sterbenden Menschen muss sich nun verstärkt und auch mühevoll von seinem materiellen Körper lösen. Wir nehmen dann heftige Schüttelkrämpfe, Aufbäumen und Schreie wahr. Dabei werden alle zur Verfügung stehenden Atem-und Körperkraftreserven verbraucht. Das führt dann in die völlige Erschöpfung. Nach Kübler-Ross gibt der Mensch zum Ende dieser von ihr Depression genannten Phase hin den Kampf zur Verdrängung der unvermeidbaren Tatsachen auf. Man kann wahrnehmen, dass sich der Ausdruck der Augen verändert. Sie erscheinen nun glänzend und schauen schon in eine andere Dimension.
Für viele Menschen ist es schwer, sich von den anerzogenen Angstbildern zum Thema Tod zu lösen. Doch bei manch einem verläuft diese Phase auch ganz sanft und friedlich. Dann lächelt er uns vielleicht noch einmal liebevoll an. Andere geben den Kampf bereits in einer früheren Phase auf.
Wichtig ist, dass wir als Begleiter da sind und den sterbenden Menschen angstfrei mit der Zusicherung tragen, dass alles, was geschieht, natürlich ist und dass wir ihn auch weiterhin liebevoll begleiten.
Emotional geht es darum, die innere Mitte zu finden, sich dem offenen Weg anzuvertrauen und „Ja“ zum Sterben zu sagen. Kübler-Ross nennt das die Zustimmung. In dieser Phase ist der Sterbende besonders sensibel, er nimmt alles in seinem Umfeld wahr, auch wenn er sich kaum noch äußern kann und will. Am Ende der dritten Wandlungsphase kommt nach dem emotionalen Kraftakt alles zur Ruhe.
Vierte Wandlungsphase
Die vierte Wandlungsphase entspricht der Ruhe nach dem Sturm. Die Materie nimmt deutlich ab und das Energiefeld nimmt deutlich zu. Der Patient spricht jetzt nicht mehr. Sein Körper fühlt sich immer empfindungsloser, ausgetrocknet und leer an. Der Sterbende möchte nichts mehr trinken, aber das Anfeuchten der Lippen ist ihm noch angenehm. Der Körper schrumpft weiter in sich zusammen und wird völlig unwichtig.
Die Sinne des Sterbenden richten sich ganz auf die körperlose Dimension aus. Jetzt kommen alle Körperfunktionen zur Ruhe. Der letzte Atemzug und der letzte Herzschlag zeigen den Gipfelpunkt des Sterbevorgangs an. Das Bewusstsein hat sich nun für den Weg zum Licht entschieden. Hier bei uns bleibt nur die alte Hülle zurück.
Wir können in diesem Moment erahnen, dass Sterben – so wie das Geborenwerden – nur ein großer Wandel ist. Es ist ein hoher, spiritueller Moment, der größer ist als unser Schmerz darüber, einen lieben Menschen nicht mehr körperlich bei uns zu haben. Den begleitenden Menschen bleibt jetzt nur noch, den sterbenden Menschen der Weisheit der Natur oder einem Höheren anzuvertrauen. (siehe auch: Ratgeber – Gebete nach dem Versterben).
Nach einem Gebet ist meist die schlimmste erste Anspannung bei den Anwesenden gelöst. Wir können auch frei gute Wünsche für die Reise formulieren und dem Verstorbenen von Herzen danken für die gemeinsame Zeit. Und wir können ihm sagen: „Verzeih mir, was in unserem Leben vielleicht nicht gelungen ist.“
Die Loslösung des Bewusstseins vom materiellen Körper ist für uns nicht sichtbar, aber einige Sterbebegleiter berichten, dass sie es spüren konnten und nach oben schauten. Das Bewusstsein weitet sich, sobald es sich vom Körper gelöst hat, und führt zu einem pulsierenden Eindruck von Energie. Das wird von vielen Angehörigen als ein Engegefühl im Raum wahrgenommen – sodass manche das Gefühl haben, ein Fenster öffnen zu müssen.
Besonders wenn sich niemand spirituell um den Sterbenden und auch den verstorbenen Menschen kümmert und ihn niemand verabschiedet hat, haben Umstehende manchmal den Eindruck, dass das Bewusstsein noch längere Zeit wehenartig zu seinem abgelegten Körper hin- und wieder wegschwingt.
In den tibetischen Totenbüchern wird Wert auf das Verebben des inneren Atems gelegt. Ein oder zwei Stunden in Frieden und Harmonie bei dem gerade Verstorbenen zu wachen, kann den Lebenden Trost und Heilung und dem Verstorbenen die Möglichkeit geben, seine letzten Schritte der Ablösung in Ruhe und Frieden geschehen zu lassen. Die erhöhte Energie im Sterbezimmer ermöglicht manchmal hellsichtige Wahrnehmungen bei den Anwesenden. (siehe auch: Sterbekultur im 21 Jahrhundert – Empathische Todeserlebnisse).
Auch das notwendige Feststellen des klinischen Todes durch den Hausarzt oder ärztlichen Bereitschaftsdienst kann in Würde vor dem Menschen geschehen. Hier ist das Feingefühl des beteiligten Arztes gefragt bei der Haltung, mit der er dem jetzt augenscheinlich leblos daliegenden Körper begegnet.
Auch Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen können behutsam mit dem Verstorbenen umgehen. Man muss einem Verstorbenen nicht sofort sein Betttuch über den Kopf ziehen, ein Schild an den Fuß binden und ihn direkt ins Kühlhaus fahren. Das schafft nur Ängste, sowohl bei den Angehörigen als auch beim Bewusstsein des Verstorbenen, das immer noch zu seinem Körper hin schwingt.
Ist der Tod eines Menschen eingetreten, ist es das Wichtigste, zunächst einmal Ruhe zu bewahren. Vielleicht möchte der begleitende Mensch eine Freundin oder einen Freund anrufen, um nicht allein zu sein. Dadurch kann sich die Situation beruhigen und wir können die Stille und die Besonderheit des Todes wahrnehmen.
Wenn es möglich ist, kann man bewusst eine Kerze anzünden als Zeichen der Sammlung und der Hoffnung. Wir können damit deutlich machen, dass hier eine ganz besondere Stunde anbricht in unserem Leben und für den Menschen, der gerade von dieser Welt gegangen ist.
In dieser Zeit berühren die Buddhisten den Verstorbenen zunächst nicht, um der Seele einen ungehinderten Austritt aus dem Körper zu ermöglichen.
Wir als Begleiter werden die Gefühlsäußerungen der Angehörigen liebevoll begleiten und sie nicht wegzerren oder beschwichtigen, wenn sie ihre Gefühle zeigen. Wenn ein Mensch verstorben ist, muss seine Versorgung genauso wie bei der Pflege des Sterbenden in Achtung seiner Würde und seiner Persönlichkeit geschehen. Alle Handlungen am Verstorbenen sollten in Ruhe und nicht routiniert oder hastig ausgeführt werden.
Suchen Sie sich einen sensiblen Bestatter, der Ihnen alle Zeit lässt, die Sie brauchen, um sich von Ihrem Verstorbenen zu verabschieden. Wenn Sie es möchten, unterstützt er Sie beim Waschen und Ankleiden des Verstorbenen.
Die Zeit am Totenbett eines gerade Verstorbenen ist viel zu kostbar, um ihn in unnützem Aktionismus sofort aus seinem Wohnbereich herauszureißen. Lassen Sie sich Ihre Verstorbenen nicht sofort wegnehmen.
Die praktische Sorge um den Verstorbenen ist eine außerordentlich bereichernde Tätigkeit, die viel Liebe von ihm, mit dem wir achtsam umgehen, zu uns zurückbringt. Wir müssen seinen Körper so betten, wie wir nach unserem eigenen Tod gebettet werden möchten.
Man kann die Dankbarkeit eines Verstorbenen deutlich spüren, wenn man seine sterbliche Hülle würdevoll aufgebahrt hat. Liebe ist bei Lebenden wie bei Verstorbenen das einzige Gut, das sich vermehrt, wenn wir es verschwenden (frei nach Ricarda Huch). Ebenso spüren wir es, wenn ein Mensch lieblos, unachtsam oder angewidert mit einem Verstorbenen umgeht. Meist hat dieser Mensch Angst vor dem eigenen Tod und damit auch Angst vor den Verstorbenen.
Die Kultur der offenen Aufbahrung zeigt uns nicht nur unsere Vergänglichkeit, sie zeigt auch die Würde und Achtung der Lebenden, die sie dem Leib des Verstorbenen, der entseelten Hülle entgegenbringen.
In einigen Orten ist es noch üblich, in den Tagen bis zur Beisetzung die Totenwache zu halten. Das Wort „wachen“ macht deutlich, dass es hier um mehr geht, als bloß auf den verstorbenen Körper aufzupassen. Es geht um die Totenfürsorge, das Gebet für die Seele, sodass sie bestmöglich den Weg ins Licht findet und nicht umherirrt.
Es ist ein tröstliches Gefühl, wenn man erleben kann, dass trotz allem Leid der Mensch im letzten Moment heil von dieser Erde geht und seine leere Hülle mit all seinen Schmerzen, Gebrechen und Fehlern entspannt und friedlich hier zurücklässt. Wir werden von dem Verstorbenen beschenkt, wenn wir an seiner Wandlung teilnehmen dürfen.
Fünfte Wandlungsphase
Die fünfte Wandlungsphase folgt meistens nahtlos. Es gibt jetzt keine äußerlich sichtbaren Lebenszeichen mehr. Der Herz- und Atemstillstand ist bereits festgestellt. Die Tibeter berichten jedoch, dass es eine längere Zeit braucht, bis auch der „innere Atem“ zum Stillstand kommt. Damit sind der ausklingende Prozess der Zellatmung und der versiegende Energiefluss in den Meridianen gemeint.
Die vollkommene Trennung unseres Bewusstseins von unserem materiellen Körper ist noch nicht restlos vollzogen. Das Gefühl, im Körper sei noch Leben, haben wir noch einige Zeit lang. Stellten wir einen Vergleich mit der Geburt her, so wäre das Kind nicht mehr im Mutterleib, aber über die Nabelschnur noch mit seiner Mutter verbunden. Viele Menschen spüren die feine und hohe Energie des gerade Verstorbenen in dieser noch sehr lebendigen Zeit.
Die Tibeter nutzen diese Wandlungsphase als Zeit der Totenwache, die drei bis vier Tage andauert. Danach wird für einen Zeitraum von 49 Tagen regelmäßig im Haus des Verstorbenen meditiert. Denn es ist klar, dass nach dem Sterben keine Raum- und Zeitbegrenzung mehr für den Verstorbenen besteht. (siehe auch: Sterbekultur im 21. Jahrhundert – Nachtodkontakte).
Auch in unserer Kultur ist die Totenwache tief verwurzelt, aber leider vielfach in Vergessenheit geraten. Dabei ist das achtsame Verweilen beim Verstorbenen eine bereichernde Zeit des echten Abschieds. Hier können gemeinsame Erinnerungen ausgetauscht, hier kann alles Unausgesprochene noch gesagt oder einfach nur gedankt werden. Diese Zeit ist ein besonderes Geschenk des Lebens, das wir annehmen sollten.
Unser Bewusstsein, unsere Seele, bleibt mit all ihrer Weiterentwicklung, die wir auf dieser Welt erfahren haben, nach unserem irdischen Tod unverlierbar und spürbar als ein geschlossenes Energiefeld zusammen. Das Universum verliert nichts.
Joseph von Eichendorff hat das in seinem Gedicht „Mondnacht“ so ausgedrückt:
„Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.“
Oder biblisch gesprochen:
„Fürchte dich nicht; denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“
Jesaja 43,1
Wenn wir die Hoffnung haben, im Sterben Heil zu erlangen und frei von unserer kranken und vielfach schmerzenden Hülle geborgen weiterzuleben, dann verliert der Tod seinen Schrecken.
Die fünfte Wandlungsphase ist abgeschlossen, wenn der letzte Kontakt des Bewusstseins vom Körper gelöst ist. Dann haben wir auch den klaren Eindruck, dass jetzt nur noch eine leere, sichtbar geschrumpfte Hülle vor uns liegt. Eine Hülle, die aber immer noch eine Würde hat. Eine Würde, die daher rührt, dass sie lange Jahre unser Bewusstsein – den heiligen Kern in uns – bewahrt hat. Diese Ausstrahlung von Würde bleibt noch für einige Tage fühlbar und verliert sich dann zusehends. Für uns als Begleiter bleibt nur, dem Verstorbenen zu sagen, dass er nun in einer anderen Welt ist, und wir können ihn ermuntern, dort seinen Weg zu gehen.
Wenn die fünfte Wandlungsphase vorüber ist und der Verstorbene zwei, drei Tage später im „guten Anzug“ in der Friedhofskapelle aufgebahrt liegt, sehen die Angehörigen, die erst jetzt zu einem Abschied Zeit gefunden haben, eine leblose, leere Hülle vor sich. Sie schauen auf die eigene Vergänglichkeit, auf den eigenen Tod, und sind vielfach von Angst und Hoffnungslosigkeit wie gelähmt. Wenn wir uns dagegen in guten Tagen mit dem Sterben der Menschen beschäftigen, am Sterben direkt Anteil nehmen und bei dem gerade Verstorbenen wachen, kann uns dadurch viel Trost und Hoffnung zuteilwerden.
Sechste Wandlungsphase
Die Tibeter haben ein zyklisches Verständnis vom Leben und vom Sterben. Sie glauben, dass wir nach dem Sterben wiedergeboren werden. Und dass wir in einem neuen Körper neue Erfahrungen machen. Das kann man so stehen lassen, denn jeder hat seine eigenen Vorstellungen für die Zeit nach dem Versterben.
Was ist in der Phase nach dem Sterben eines Menschen noch möglich?
Die Tibeter erweisen den Verstorbenen über 49 Tage hinweg die Ehre, indem sie in seinem Haus einen Altar für ihn bauen und ihn dort verehren. Sie bieten ihm orangefarbene Tücher und Blumen dar und begleiten ihn mit Gebeten auf seinem neuen spirituellen Pfad. Der Verstorbene wird meist eingeäschert und die Asche der Natur zurückgegeben, deshalb bleibt zum besonderen Gedenken nur das Haus, in dem der Verstorbene den größten Teil seines Lebens verbracht hat. Wir haben im Westen andere Formen der Erinnerung, die wir auch nutzen sollten, um dem Verstorbenen auf seinem neuen Weg spirituelles Geleit zu geben.
Der amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder sagt es so:
„Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe – das einzig Bleibende, der einzige Sinn.“
Quelle: „Die Brücke von San Luis Rey“, übersetzt von Herbert E. Herlitschka. Frankfurt/M und Hamburg 1955, S. 194
Auch nach einer guten Sterbebegleitung gehört die Trauer darüber, einen Menschen nicht mehr körperlich präsent bei uns zu haben, zu den natürlichen menschlichen Ausdrucksformen. Wir sollten auch unserer Trauer genügend Raum geben und dabei immer auf unser Gefühl hören. Jeder Mensch braucht unterschiedlich lange für die Trauerarbeit. Das hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab.
Wenn die Trauer nicht richtig begonnen wurde, wenn es keinen Abschied oder nur eine lieblose Trauerfeier oder Beisetzung gab und keine Trauerarbeit im Sinne von Verarbeiten der gemeinsam verbrachten Zeit geleistet wird, findet die Trauer manchmal kein Ende. Dann verharrt der Trauernde in einer Endlosschleife seines Leids.
Es ist für die Hinterbliebenen und für deren weiteres Leben wichtig, einen Ort zu haben, an dem sich der Verstorbene geborgen und unverlierbar befindet, um mit ihm aus dem Herzen heraus kommunizieren zu können.
Trauerarbeit ist das Gegenteil von Vergessen. Wir sollten lernen, mit unseren positiven Erinnerungen und all der Liebe, die uns ein von uns gegangener Mensch geschenkt hat, weiterzuleben. Ich empfinde es als ein Geschenk, dass mir auch nach dem Überschreiten der Mitte meines Lebens die schon lange verstorbenen Menschen, die mich in meiner Kindheit und Jugend liebevoll begleitet haben, noch nahe sind. Es ist für eine gelingende Trauerarbeit wichtig, dem Verstorbenen je nach Bedeutung, die er für uns hat, langfristig einen Platz in unserem Herzen einzuräumen. Nur dann können wir nach einer ganz unterschiedlich langen Zeit der Trauer auch wieder glücklich und heil zu unserem eigenen freien Leben finden.
Das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen.
Franzwerner Junker
uns jederzeit in einem unverbindlichen
persönlichen Gespräch
kennen lernen, bevor
Sie uns ihr Vertrauen
schenken.